Puppenhaus "Haus Helga"
Hersteller ist die Holzspielwarenfabrik Albin Schönherr, Niederlauterstein / Erzgebirge (DDR), gegründet 1895 durch Albin Schönherr, einen ehemaligen Mitarbeiter von Moritz Gottschalk. Die Häuser wurden nach beliebten Mädchennamen ihrer Zeit benannt, so gibt es diesen Puppenhaustyp - z.T. mit verschiedenen geringfügigen Änderungen (beispielsweise anderen Türen) - unter anderem noch als "Haus Ingrid", "Haus Gisela" und "Haus Karin".
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Ich habe das Haus leer bekommen und versucht, es zeittypisch einzurichten. Als "Hingucker" für meine Ausstellung "Karins Puppenhaus und Peters Tankstelle" (INFO) habe ich jede Menge Puppenstubenpuppen der Firma CACO einziehen lassen... Maße: 108 x 44 x 45 (P50/4/1) |
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Wie im "richtigen Leben" - Puppenstubenwelt und Wirklichkeit: Während die Männer im Wohnzimmer über das neue Radio fachsimpeln, bereiten die Frauen das Essen vor...
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Und noch zwei Fotos einer früheren Einrichtungsvariante. |
Puppenstuben der 50er Jahre – ein Spiegel deutscher Wohnkultur
Zwar lässt sich die Puppenhaus- Historie anhand des ältesten bekannten Exemplars aus dem Jahre 1558 bis in das 16.Jahrhundert zurückverfolgen, doch handelte es sich bei den frühen Puppenhäusern noch nicht um Spielzeuge, sondern um auf höchstem kunsthandwerklichen Niveau gefertigte Schaustücke. Wohlhabende Patrizierfamilien ließen sich ihre Wohnhäuser samt Einrichtung en miniature nachbauen, damit sie gegenüber ihren Mitmenschen den eigenen Wohlstand zur Schau stellen konnten. Erst im Biedermeier, in der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts, fanden Puppenhäuser und Puppenstuben größere Verbreitung und waren auch in bürgerlichen Familien zu finden, um deren Töchter spielerisch auf ihre spätere Hausfrauenrolle vorzubereiten. Damit die Handlungsabläufe im Haushalt möglichst wirklichkeitsnah nachgestellt werden konnten, entsprachen die Miniaturen ihren großen Vorbildern meist bis ins kleinste Detail, sodass im originalen Zustand erhalten gebliebene Puppenhäuser und Puppenstuben seither ein authentisches Abbild der Alltagskultur ihrer jeweiligen Herstellungszeit darstellen. Als besonders interessant erweisen sich in diesem Zusammenhang entsprechende Spielzeuge der 1950er Jahre, die im Miniaturformat auf anschaulichste Art und Weise die Entwicklung vom Nachkriegsmangel bis hin zum Wirtschaftswunder-Überfluss dokumentieren. Der Mikrokosmos der Puppenhauswelt gibt derart erschöpfende Auskunft über Baustile und Wohnverhältnisse, über Formen, Farben und Moden und damit auch über Realitäten und Wunschvorstellungen dieser mit zunehmendem zeitlichem Abstand immer stärker verklärten und dabei in Wirklichkeit doch so widersprüchlichen Epoche.
In den Mangeljahren unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkriegs jedoch war die Einrichtungsfrage für viele Deutsche ohnehin kein Thema, da aufgrund der hohen Zahl im Krieg zerstörter Wohnungen froh sein konnte, wer überhaupt ein Dach über dem Kopf hatte. Improvisation lautete das Gebot der Stunde und es galt, mit dem wenigen Vorhandenen etwas Brauchbares zustande zu bringen. Entsprechend schlicht fallen die in dieser Zeit gefertigten Puppenstuben aus, die von mehr oder minder geschickten Eltern oder älteren Geschwistern vorwiegend aus Kistenbrettern oder anderen Materialresten zusammengezimmert wurden. Andere Kinder wiederum hatten das Glück, auf Spielzeuge zurückgreifen zu können, die den Krieg unbeschadet überstanden hatten und derart den Stil der 30er Jahre oder der Zeit davor widerspiegelten. Kaum anders sah es in den realen Wohnungen aus: die Zimmer waren mit selbst gebauten Notbehelfen oder aus der Vorkriegszeit hinübergeretteten Möbeln ausstaffiert, vielfach auch mit einer Mischung aus Beidem. Sogar als nach der Währungsreform und einer beginnenden Normalisierung der Verhältnisse wieder verstärkt neue Konsumgüter produziert wurden, orientierte sich die Möbelbranche weiterhin an den alten Vorlagen. Die Menschen wollten das Geschehene ungeschehen machen, wollten die Kriegszeit aus ihren Köpfen verdrängen und so tun, als wäre nichts gewesen, indem sie sich einrichteten „wie früher“. Entsprechend präsentierte sich das Angebot in den Katalogen der Möbelfabrikanten und entsprechend dazu wiederum das Angebot der Puppenmöbelhersteller. In erster Linie solide und zweckmäßig sollten die Möbel sein, stilistisch reichte die Bandbreite von schlichter Sachlichkeit bis hin zu den ausladenden, verschnörkelten und dadurch Wertigkeit vorgaukelnden Schränken des „Gelsenkirchener Barock“. Noch Mitte der 50er entscheidet sich im Verlauf einer Meinungsforschung die überwiegende Mehrheit der Befragten für Möbel konventioneller Machart, lediglich 7 Prozent bevorzugen den Nierentisch. Eine Einrichtung mit modernen Möbeln hätte einen Bruch mit Altvertrautem bedingt, der Vielen zu diesem Zeitpunkt offensichtlich als zu radikal erschien.
Leicht, licht, luftig, schwebend und farbenfroh sind im Zusammenhang mit der neuen Wohnauffassung oftmals zu vernehmenden Attribute, rechte Winkel sind verpönt, die „freie Form“ soll darüber hinaus einen bewussten Kontrapunkt zum Massiven, Starren und Bedrohlichen des Nationalsozialismus setzten. Unverhältnismäßig häufig in Relation zum Vorhandensein in den „echten“ Wohnungen sind diese modernen Möbel in den Puppenstuben zu finden, möglicherweise Indiz dafür, dass im Miniaturformat Wünsche nach Veränderungen realisiert wurden, die man im wirklichen Leben nicht ausleben konnte, wollte oder durfte. Unterstützt wird diese Vermutung unter anderem durch das 1955 erschiene Bastelbuch „moderne Puppenmöbel selbstgemacht“, in dem es in einer an die Eltern gerichteten Einleitung heißt: „Eine Wohnung wie die Mutti möchte das kleine Mädchen haben. Dabei freut es sich bestimmt auch an einer schöneren und vollkommeneren Einrichtung. Wir brauchen uns also keinesfalls zu sagen: solange wir um den alten vierbeinigen Eichentisch sitzen, kann ich doch meiner Sabine nicht diese hübschen Puppenmöbel bauen! O doch, wir können die Puppenwohnung getrost mit den modernsten Möbeln ausstatten!“ Und so finden sich in den zeitgenössischen Puppenhäusern und Puppenstuben Nierentisch und Tütenlampe ebenso wieder wie asymmetrische Wohnzimmerschränke und abenteuerlich geformte Blumenständer aus Bambusrohr. Doch die Möbel der neuen Generation werden in den Fünfzigern nicht nur ausschließlich nach ästhetischen Gesichtspunkten konzipiert, sondern müssen auch veränderte räumliche Gegebenheiten berücksichtigen. Aufgrund einer selbst in der Mitte des Jahrzehnts immer noch herrschenden Wohnraumnot wurde versucht, möglichst zahlreiche neue Wohnungen zu schaffen, was jedoch in der Regel nur zu Lasten der jeweiligen Größe zu bewerkstelligen war. So sahen sich allein schon aus Platzgründen viele Menschen gezwungen, sich von den ausladenden Buffets und großvolumigen Wohnzimmerschränken der Vergangenheit zu trennen und sie durch kompaktere Möbel zu ersetzen. Insbesondere in den Küchen wird diese Entwicklung deutlich, da eine durchschnittliche Neubauküche mit einer Grundfläche von lediglich 6,5 Quadratmetern bemessen ist und infolgedessen die traditionelle Wohn- einer reinen Arbeitsküche weichen muss. Die neuen Einrichtungen bestehen aus genormten, beliebig miteinander kombinierbaren Schrankelementen, die durch eine individuelle Anordnung den zur Verfügung stehenden Raum optimal nutzen können. Für die Versiegelung der Oberflächen werden kratzfeste und pflegeleichte kunststoffbeschichtete Hartfaserplatten (z.B. Resopal) entwickelt, die von den Herstellern problemlos einzufärben sind und somit für die im Nachhinein als typisch für die Fünfziger Jahre empfundene pastellfarbene Innenraumgestaltung verantwortlich zeichnen. Beinahe überflüssig zu erwähnen, dass sich diese Entwicklung selbstverständlich in den zeitgenössischen Puppenstuben ebenso dokumentiert wie beispielsweise auch die zunehmende Elektrifizierung der Haushalte. Ist 1955 erst in 10 Prozent der Westdeutschen Heime ein elektrischer Kühlschrank vorhanden, in 9 Prozent eine elektrische Waschmaschine und gar nur in 4 Prozent eine elektrische Küchenmaschine, halten nun dank wirtschaftswunderlichem Aufschwung und den daraus resultierenden steigenden Einkommen vermehrt Elektrogeräte Einzug in die realen sowie, maßstabsgerecht verkleinert, auch in die Spielküchen. Einzig die unverhältnismäßige Größe der Puppenstubengehäuse orientiert sich nicht am Vorbild, da bei deren Konzeption natürlich in erster Linie Wert auf kindgerechte Bespielbarkeit gelegt wurde. Analog zu den Küchengeräten tauchen in den Puppenhauswohnzimmern Radios, Fernsehgeräte und Musiktruhen auf. Selbst mit Bier-, Schnaps- und Weinminiaturen bestückte kleine Hausbars gelangen in Kinderhand, offensichtlich erhielt die Option eines realitätsnahen Spielens den Vorzug vor einer möglichen Suchtprävention.
Ob Weihnachtsbaum mit elektrischer Beleuchtung und Glaskugeln, ob Lampionkette für die Gartenparty, ob Blechbad mit „fließend Wasser“ oder Mini-WC inklusive Toilettenpapierrolle samt entsprechendem Halter – es gibt wohl nichts, was es nicht gibt in der Puppenhauswelt. Selbst die Puppenstubenpuppen sind ausgesprochen detailliert im Stil ihrer Zeit gekleidet und legen auf diese Weise ein anschauliches Zeugnis über die damaligen modischen Vorlieben ab.
Ebenso facettenreich wie ihr Innenleben bietet sich dem Betrachter die äußere Gestaltung der Puppenhäuser dar, die im spielgerechten Format das gesamte Spektrum vom staatlich geförderten kleinen Siedlungshaus über den luxuriösen Bungalow bis hin zum Mehrfamilienhaus abdeckt. Und ebenso wie „im wirklichen Leben“ wurden viele dieser Spielhäuser im Laufe der Jahre umgebaut oder renoviert, um sie veränderten Platzbedürfnissen oder einem gewandelten Geschmacksempfinden anzupassen. So kommt denn ein mit Selbstklebefolie und Teppichboden „verschöntes“ Puppenhaus zwar für den Sammler und Bewahrer einem Alptraum gleich, besitzt aber nichtsdestotrotz eine hohe Aussagekraft über die Entwicklungen der Zeit.
Ein Kuriosum in der diesbezüglich ohnehin nicht armen Deutsch – Deutschen Geschichte stellt dar, dass ein Grossteil dieser so anschaulich den Bundesrepublikanischen Wirtschaftwunder–Wohlstand dokumentierenden Miniaturmöbel und Puppenhäuser in der DDR hergestellt wurde. Dort selbst nicht zu kaufen, produzierte man in den traditionellen Holzspielzeug-Hochburgen des Erzgebirges zum Zwecke der Devisenbeschaffung viele dieser Spielzeuge ausschließlich für den Export in das kapitalistische Ausland.
Einige der typischsten 50er-Jahre-Objekte entstanden paradoxerweise erst zu Beginn der 60er, da die Spielzeugproduzenten in der Regel eine gewisse Vorlaufzeit benötigten, um auf reale Entwicklungen zu reagieren. Überhaupt gestalten sich die stilistischen Übergänge fließend, da das, was uns heute im Nachhinein als charakteristisch für die 50er Jahre erscheint, natürlich nicht schlagartig mit dem Ende dieses Jahrzehnts wieder verschwunden war.
Bei all der Begeisterung über die bunte Stilvielfalt der Puppenstubenminiaturen darf jedoch nicht vergessen werden, dass es sich eigentlich um ein Kinderspielzeug handelt und jedes dieser Objekte einmal ein, und sei es noch so kleines, Mosaiksteinchen im Erwachsenwerden eines Kindes gewesen ist. So sollte unbedingt der Versuch unternommen werden, nicht nur die Spielzeuge selbst zu bewahren, sondern, wenn möglich, auch die jeweiligen persönlichen Erinnerungen ihrer ursprünglichen Besitzer.
"Man haust nicht mehr – man wohnt wieder"
Zeitschriftenwerbung eines Möbelherstellers (1955)
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